Zur Entstehung der Konfliktlinien
Wie in den meisten Konflikten in Südosteuropa, das als klassisches Durchzugsgebiet häufigen Herrschaftswechseln unterlegen war, traten im Zuge der nationalen Staatsbildungen im 19. und 20. Jahrhundert historisch legitimierte gegenseitige Herrschaftsansprüche auf dieselben Gebiete auf. Die Lage in Siebenbürgen1 folgt diesem Muster, ist jedoch zugleich atypisch und deshalb von besonderer Brisanz, da hier in Folge des Ersten Weltkrieges eine Grenze strittig wurde, die bis dato zu den beständigsten Europas gehörte.2 Im 19. Jahrhundert war von ungarischer Seite versucht worden, den bestehenden multinationalen Staat, in dem die ungarische Volksgruppe kaum die Mehrheit ausmachte, in einen ungarischen Nationalstaat umzudefinieren, der auf Grund seiner geografischen Lage im Karpatenbecken eine „natürliche“ politische Einheit bilde.3 Seitens der Rumänen hingegen wurde im Zuge ihres „nationalen Erwachens“ ein Mythos gezimmert, der von einer dakisch-römischen Symbiose, d.h. der „Einpflanzung der römischen Macht in den thrakischen und möso-getischen Grund“4 ausgeht. Dieser bilde den Ursprung des rumänischen Volkes, welches diese „römische Erbschaft für immer“ bewahrt habe.5 Der zu schaffende rumänische Nationalstaat müsse daher das Gebiet der alten römischen Provinz Dakien (Dacia) umfassen, die sich etwa in den heutigen Grenzen Rumäniens befand.6 Beide Nationalgeschichten sind reine Konstrukte, wozu für die ungarische Seite ein Blick in die Bevölkerungsstatistik genügt. Auch im Falle des rumänischen Mythos der ersten Besiedlung, der den Anspruch auf Siebenbürgen garantieren sollte, konnte bereits Ende des 19. Jahrhunderts die These einer römischen Kontinuität nicht mehr ernsthaft behauptet werden.7 Vor diesem Hintergrund sind zwei Handlungsmuster zu verstehen: erstens die kompromisslose Staatsbildungsstrategie Rumäniens und zweitens der Kampf um Symbole und Identität als Ausdruck von Herrschaft in Siebenbürgen. Nachdem Siebenbürgen durch den Vertrag von Trianon in sein Staatsgebiet eingegliedert wurde, baute Rumänien gegenüber den in dieser Region siedelnden Ungarn deshalb auf ethnische Exklusivität, die Minderheiten ausgrenzte. „Romania in the interwar period displayed a meaningful articulation of […] racial ideas in the cultural discourse.”8 Verschiedene Maßnahmen waren gezielt auf die Zerstörung des ungarischen Bürgertums ausgerichtet9 , wodurch die ohnehin ausgeprägte Illoyalität der Ungarn zusätzlich gestützt wurde. Gleichzeitig wurde Rumänien in der Verfassung von 1923 als einheitlicher Nationalstaat definiert, womit gegen jede Form von Regionalismus vorgegangen wurde10 und der rumänische Staat sich als „protective roof“ einer homogenen rumänischen Staatsgemeinschaft definierte.11 Im Jahre 1940 fielen Teile Siebenbürgens für kurze Zeit wieder an Ungarn, das nun seinerseits die ethnischen Rumänen verfolgte und die Situation nach dem Zweiten Weltkrieg erschwerte. Dennoch genossen die Ungarn anfangs eine gewisse Autonomie: 1952 wurde die Ungarische Autonome Region geschaffen, die aber 1968 abgeschafft wurde. Ceauşescus Programm intendierte die Assimilierung der Ungarn in eine sozialistische Massenkultur, die verstärkt durch ein Umsiedlungsprojekt im Jahre 1988 betrieben wurde und in der die „Einheit des rumänischen Volkes“ zu einem „Glaubensdogma“ wurde. In Gebieten mit signifikantem Anteil an ethnisch ungarischer Bevölkerung wurden im Zuge der scheinbaren Abschaffung der ethnischen Kategorie gezielt Rumänen angesiedelt, wodurch wiederum im Namen der Gleichheit eine differenzblinde Homogenisierungspolitik betrieben wurde. Vor allem in dieser Phase änderte sich die Bevölkerungsstruktur Siebenbürgens erheblich, weil neben der Ansiedlungspolitik noch die westeuropäischen Bindungen der Region durch die Auswanderung von Deutschen und Juden erheblich zurückgingen.12 Wird die Proklamation von Timişoara in diesen Kontext eingegliedert, stellt sie sich als revolutionärer Idealismus in der Phase des Aufbruchs dar, die von einer nationalistischen Stimmung abgelöst wurde, welche an die Erfahrungen Siebenbürgens seit dem Beginn der Zeit der Nationalstaatsbildung und besonders seit 1920 anschloss. Da der Konflikt der staatlichen Zugehörigkeit Siebenbürgens einen Legitimitätskonflikt ersten Ranges darstellt, wird er so kompromisslos ausgefochten, gerade auch auf der Ebene chiffrierter Codes nationaler Symbole, die als Lackmustest für die interethnischen Beziehungen gelten können. Die Lehre der 2000jährigen dakisch-romanischen Kontinuität blieb auch nach 1989 offizielle Ideologie.13 Das Blutbad in Tîrgu Mureş im Jahre 1990 hatte seinen Ausgangspunkt in den Feiern der Ungarn am Tag der Revolution von 1848. Am 6. Oktober findet in Arad jährlich das Gedenken an dreizehn ungarische Heerführer statt, die dort nach der Niederschlagung der Revolution im Jahre 1849 exekutiert wurden. Auf dem Freiheitsplatz wurde aus diesem Anlass 1890 ein Freiheitsdenkmal errichtet. Das Denkmal wurde später abgebaut und der Platz nach Avram Iancu benannt, dem Kämpfer für die Gleichberechtigung der rumänischen Nation in der 1848er Revolution.14 Der Zündstoff des Diskurses über Legitimität eines ethnisch exklusiv definierten Zugriffsanspruchs auf die Region zeigt sich exemplarisch in Cluj, das den Ungarn als ihr geistiges Zentrum, als die Hauptstadt Siebenbürgens von hohem symbolischem Wert gilt und das unter Ceauşescu den Beinamen „Napoca“ erhalten hatte, um auf die dortige alte römische Siedlung zu verweisen. Im Jahre 1994 ließ der extremistische Bürgermeister der Stadt auf dem Hauptplatz wider besseren Wissens und ohne legale Grundlage nach dem Forum Romanum Napocas graben. Ziel der Aktion war die „Entweihung“ der auf dem Platz befindlichen Statue des in Cluj geborenen Renaissancekönigs Mathias Corvinus, den die Ungarn als den bedeutendsten ihrer Könige betrachten. Die Statue sollte infolge der Bauarbeiten ganz vom Platz verschwinden.15 Bereits zuvor wurde als Konterpunkt auf einem zweiten Platz eine Statue Avram Iancus errichtet. Die Stadt wurde mit Hunderten rumänischer Flaggen dekoriert, Parkbänke und Straßenbegrenzungen wurden in den rumänischen Nationalfarben getüncht. Obwohl die Situation in Cluj aufgrund der politischen Ausrichtung des Bürgermeisters als atypisch gilt, befördert sie die Auswirkungen der vorausgegangenen Assimilierungspolitik exemplarisch zutage.16 Die Kämpfe, die auf symbolischer Ebene geführt werden, schlagen sich nieder in der Politik und ebenso umgekehrt. Wolfgang Zellner und Pál Dunay betonen daher, dass der „Manipulation historischer Symbole unmittelbar politische Relevanz zu[komme]“.17 Gefechte über Straßennamen und offizielle Sprachen, setzt Erin Jenne mit George Schöpflin, dem Londoner Forscher über Nationalismus in Ostmitteleuropa, hinzu, werden daher zu „struggles over one’s very existence.”18 Dieser „Kampf“, der das rumänisch-ungarische Verhältnis bestimmte, galt den Akteuren nach 1989 als „historisches Erbe“ und determinierte die Handlungsoptionen. Für die rumänische Seite galten die Ungarn als illoyale Bürger, die Siebenbürgen kulturell und politisch vereinnahmen wollten. Die ungarische Seite hingegen erwartete eine symbolische Gegenleistungen für unrechtmäßige Enteignungen und die Politik der Zwangsassimilierung. Aus diesen Gründen umfasste die Handlungsmarge beider Akteure keinen gemeinsamen Nenner, weshalb die Konflikte nur schwer zu regulieren erschienen. weiter: Zur Rolle der Identität ---------------------------------------- 1 Das heute und auch im weiteren Verlauf meiner Arbeit generalisierend als Siebenbürgen bezeichnete Gebiet, entspricht nicht dem historischen Siebenbürgen (siehe György Szépe: The Position of Hungarians in Romania and Slovakia in 1996. In: Nationalities Papers 27 (1999), H. 1. S. 69-92, S. 70; ebenso Schaubild 1 in István Horváth, Alexandra Scacco: From the Unitary to the Pluralistic: Fine-Tuning Minority Policy in Romania. S. 249). 2 vgl. Karte 2.1 bei George W. White: Nationalism and Territory. Constructing Group Identity in Southeastern Europe. Lanham, Boulder, New York, Oxford: 2000. S. 37. 3 ebd., S. 73. 4 Dumitru Berciu: Daco-Romania. Übertragung ins Deutsche W. Zschietzschmann. München, Genf, Paris: 1978. (Archaeologia Mundi) S. 73. 5 ebd., S. 77. 6 vgl. die Karte auf S. 104f und den Gesamtaufbau der von einer über 1000jährigen „Teilung“ der „rumänischen Länder“ ausgehenden Ausführungen bei Constantin C. Giurescu, Dinu C. Giurescu: Geschichte der Rumänen. Aus dem Rumänischen Adolf Armbruster. Bukarest: 1980. 7 Lucian Boia: Történelem és Mítosz a román Köztudatban. [Geschichte und Mythos im rumänischen allgemeinen Bewusstsein]. Aus dem Rumänischen János András. Bukarest, Kolozsvár: 1999. S. 100. 8 Karen Barkey: Negotiated Paths to Nationhood: A Comparison of Hungary and Romania in the Early Twentieth Century. In: East European Politics and Societies 14 (2000), H. 3. S. 497-531, S. 530. 9 Stephen Fischer-Galati: National Minority Problems in Romania: Continuity or Change? S. 75; Gavril Flora: Ethno-Cultural Policies and Minority Rights in Romania. In: Perspectives 5/1995. S. 117-124, S. 118. 10 Aufgrund seiner historischen Entwicklung war in Siebenbürgen (auch bei der rumänischen Bevölkerungsgruppe) eine starke Regionalidentität vorhanden (vgl. hierzu Constantin Noica, der Siebenbürgen 1940 als das Preußen Rumäniens bezeichnete, das die Triebkraft des Rumänentums in der Geschichte bilde (Constantin Noica: Erdély és a román szellemiség. Rádióelőadás, 1940. augusztus [Siebenbürgen und der rumänische Geist. Rundfunkvortrag im August 1940]. In: Provincia 1 (2000), H. 4. S. 9), die sich nun ebenfalls den Zentralisierungsbestrebungen gegenüber sah (Ferenc Takács: Románia Erdély-politikája 1989 után [Rumäniens Siebenbürgen-Politik nach 1989]. In: Magyar Kisebbség 4 (1998), H. 3-4). 11 Michaela Mudure: Democracy and Academic Education in Minority Languages. The Special Case of Romania. S. 14. 12 Ferenc Takács: Románia Erdély-politikája 1989 után [Fn. 10]. 13 Keno Verseck: Eine lateinische Kultur in einer slawischen Welt. In: die tageszeitung 27.09.1993. S. 12. 14 Timea Türk: Im Osten nichts Neues. In: Pester Lloyd 41/1999. S. 3. 15 Wolfgang Zellner, Pál Dunay: Ungarns Außenpolitik 1990-1997. Zwischen Westintegration, Nachbarschafts- und Minderheitenpolitik. Baden-Baden: 1997. (Demokratie, Sicherheit, Frieden; 118) S. 252ff; Keno Verseck: Die Leidenschaften des Herrn Funar. In: die tageszeitung 13.06.1994. S. 20; Hungarian Minorities Monitor: Rumania, September 2000. 16 Cluj war vor allem unter Ceauşescu Ziel der Ansiedlungspolitik ethnischer Rumänen aus anderen Teilen des Landes, die geschlossen außerhalb der historischen Stadt angesiedelt wurden und bis heute nicht in das kulturelle Leben der Stadt integriert werden konnten. Die Wählerstimmen für den extremistischen Bürgermeister stammen hauptsächlich aus diesen Außenlagen (Interview mit Zsolt Nagy, geschäftsführender Vizepräsident des RMDSZ, in Cluj am 16. Juli 2001). 17 Wolfgang Zellner, Pál Dunay: Ungarns Außenpolitik 1990-1997. Zwischen Westintegration, Nachbarschafts- und Minderheitenpolitik {Fn. 15]. S. 253. 18 Erin K. Jenne: Language Conflicts in Post-1989 Slovakia and Romania. S. 6. |
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