Der RMDSZ
Der Romániai Magyar Demokrata Szövetség/Demokratischer
Ungarischer Verband Rumäniens wurde bereits kurze Zeit nach dem Sturz
Ceauşescus, am 25. Dezember 1989 gegründet. Der RMDSZ wird offiziell
nicht als Partei, sondern als Dachorganisation der verschiedenen Vereinigungen
der rumänischen Magyaren geführt.
1 Er basiert
daher auf dem Prinzip internen Pluralismus, d.h., innerhalb des Verbandes
existieren verschiedene Plattformen, die nach ihren eigenen Organisationsregeln
funktionieren.
2 Neben der Zentrale in Bukarest gibt es
daher ein Exekutivbüro in Cluj und starke Regionalorganisationen.
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Den Verband strukturieren fünf wichtige Organe: der Kongress (oberstes
Entscheidungsorgan), der Repräsentantenrat (oberstes Entscheidungsorgan
zwischen den Kongressen), der Schlichtungsrat (vermittelndes Gremium), der
Operativrat (Entscheidungsträger in speziellen politischen Fällen)
und das Präsidium (Geschäftsführung).
4 Obwohl
die Grundlinie des RMDSZ einer konservativ-christdemokratischen Ausrichtung
entspricht
5 , ist es dem etwa eine halbe Million Mitglieder
umfassenden Verband durch die lose Organisationsform gelungen, die gesamten
Ungarn Rumäniens quasi geschlossen hinter sich zu bringen, weshalb
Anneli Ute Gabanyi von einer „mitgliederstarken Volks-‚Partei’“ spricht.
Die Differenzen innerhalb dieses Bundes sind aber mannigfaltig. Imre Borbély
und Zsolt Attila Borbély, selbst Mitglieder des RMDSZ, kristallisieren
vier Hauptströmungen heraus:
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- die kommunitarisch-emanzipierte Strömung derjenigen,
die mit altruistischem und moralischem Verantwortungsgefühl die Emanzipation,
die Autonomisierung der ungarischen Gemeinschaft anstreben,
- die kommunitarischen Kollaborierenden, die die Abhängigkeit
der ungarischen Gemeinschaft von der Gesellschaft anerkennen, entweder
mit dem Ziel des gesellschaftlichen Friedens und der Stabilität oder
ohne dergestaltiges Ziel,
- die individualistisch-emanzipierte Strömung vom Typus
der Weltbürger, die als Liberale Kollektivrechte als Existenzgrundlage
ablehnen,
- die individualistisch Kollaborierenden vom Untertanentypus,
denen Verantwortung für die ungarische Gemeinschaft fremd ist.
Die Hauptkonflikte traten seit 1989 zwischen den ersten beiden Strömungen
auf. Diese gruppieren sich um die beiden Zentralfiguren László
Tőkés, den inzwischen zum Bischof ernannten Sprecher der Radikalen
(Strömung 1), und den seit 1993 die Partei führenden Béla
Markó als Sprecher der Moderaten (Strömung 2). Die beiden Gruppierungen
scheiden sich vor allem bei der Bewertung des Eintritts in die Regierungskoalition.
Nach der anfänglichen Kooperation im Dezember 1989 hatte sich
die Kluft zwischen RMDSZ und FSN stetig ausgeweitet. Nach den Wahlen von
1990 trat der RMDSZ dem Oppositionsbündnis „Demokratische Konvention“
bei, das er aufgrund des sich zuspitzenden Streits um Autonomierechte am
26. Februar 1995 nach einem Ultimatum des Vorsitzenden der Konvention, Emil
Constantinescu, der die Anerkennung der Verfassung und des in ihr festgesetzten
einheitlichen Charakters Rumäniens forderte, wieder verlassen musste.
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Seine Forderung nach Autonomie, die ihm die Feindschaft aller rumänischen
Parteien eingebracht und in der Gesellschaft zu einer radikalen Spaltung
zwischen Mehrheit und Minderheit geführt hatte, bei der 80% der Rumänen
den RMDSZ als anti-rumänisch einstuften
8 , bekräftigte
der RMDSZ auf seinem Parteitag in Cluj desselben Jahres.
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Vladimir Pasti spricht mit Blick auf die Forderungen des RMDSZ von einem
Prozess, bei dem die Probleme bewusst nicht gelöst wurden, um die „Selbst-Enklavisierung“
der ungarischen Gemeinschaft zu erreichen und entscheidende administrative
Positionen selbst besetzen zu können.
10 Dies sei
die eigentliche „eternally position“ des RMDSZ gewesen, dem es gelegen kam,
dass die Regierung aus im Westen wenig angesehenen Nationalisten bestand,
obwohl dies letztlich keine Rolle gespielt habe.
11 Pasti
mag zwar für einige der radikalen Gruppe im RMDSZ sprechen, die mit
der Annahme der Deklaration von Cluj im Oktober 1992 einen Durchbruch erreicht
hatten und bis 1995 an Boden gewinnen konnten
12 , übersieht
aber, dass es sich bei dem RMDSZ nicht um einen einheitlichen Akteur handelt,
sondern dieser selbst innere Kämpfe auszustehen hatte, bei denen wechselseitig
inkonsistente Positionen um Einfluss rangen.
Die Deklaration von Cluj und der darauf folgende Kongress im Januar
1993 in Braşov brachten einige Erfolge für die Radikalen, die die
Autonomieforderungen forcierten und denen es bereits auf dem zweiten Parteitag
1991 gelungen war, die siebenbürgischen Ungarn als Kollektivsubjekt
zu definieren, und auf deren Bestreben der Entwurf zu einem Minderheitengesetz
erarbeitet wurde. Dennoch wurde in Braşov der gemäßigte Markó
zum Verbandspräsidenten gewählt, was auf einem „Kompromiss“ aus
radikalem Programm und gemäßigten Politikern beruhte.
13
Seit dem vierten Kongress im Jahre 1995 jedoch gewann die Gruppe der Moderaten
zunehmend an Boden.
14 Imre und Zsolt Attila Borbély,
die von einem „Putschversuch“ der Moderaten sprechen, charakterisieren diese
Phase vor allem durch zwei Tendenzen: erstens die Stärkung zentraler
Institutionen und damit verbunden die systematische Schwächung pluralistischer
Gremien wie dem als Verbandsparlament fungierenden Repräsentantenrat
(„innere Oligarchisierung“), und zweitens die Ausweitung der Kluft zwischen
politischen Programmaussagen und tatsächlichem praktischem Handeln.
Nach dem Wahlsieg der Opposition im November 1996 übernahm der RMDSZ
als erste ungarische Organisation in der Geschichte Rumäniens zusammen
mit drei weiteren Parteien die Regierungsverantwortung, bei der er unter
anderem zwei Minister und elf Staatssekretäre stellte.
15
Die Bewertung der seitdem geleisteten Arbeit divergiert entlang der Neigung
der urteilenden Personen zu einer der beiden Hauptströmungen. Während
die Moderatesten den Erfolg bereits darin sehen, dass die Minderheitenfrage
in die Tagespolitik eingekehrt ist
16 , zeigen sich die Radikalsten
mit den erreichten Ergebnissen
17 unzufrieden und streben
nach Durchsetzung ihres gesamten Programmes, insbesondere der Autonomieforderungen.
18
Im Zuge der Regierungsbeteiligung bemängelte der radikale Flügel
mit Hinblick auf eine „interne Oligarchisierung“ durch die Moderaten vor
allem, dass der Repräsentantenrat diese Entscheidung aus der Presse
entnehmen musste.
19 Während Géza Szőcs die Diagnose
der internen Oligarchisierung teilt, scheint sie ihm allerdings ein generelles
Problem des Ungarnverbandes zu sein, bei dem es fünf bis sechs Personen
gelänge, die Richtung des RMDSZ zu bestimmen: „Hat kéz van,
amely egymást mossa és 2 millió ember sorsa felől
dönt”
20 [Es sind sechs Hände, die sich gegenseitig
waschen und über das Schicksal von zwei Millionen Menschen entscheiden].
Nach den Wahlen im Herbst 2000 trat der RMDSZ zwar nicht mehr in die
Regierung ein, blieb aber seiner moderaten Linie treu, indem er eine einjährige
(und später laufend verlängerte) Unterstützungsvereinbarung
mit der Regierungspartei unterzeichnete, die an die Umsetzung bestimmter
Ziele gebunden ist.
21 Die radikale „Reformplattform“ innerhalb
des Verbandes bemängelte zwar erneut das Demokratiedefizit und dass
der RMDSZ zu einer Partei (!) geworden sei, in der alternatives Denken nicht
mehr möglich sei
22 , dennoch gelang es dem Verband, seine
Mitglieder entlang des Konzepts Ethnos zu organisieren und den häufig
beschworenen Zerfall der Partei zu verhindern.
23 Der Verbandspräsident
Markó betonte, beim RMDSZ handele es sich nicht um eine „politikai
párt, hanem olyan szervezet, mely a romániai magyar közösség
reprezentációját és érdekeinek védelmét
tűzte ki célul”
24 [politische Partei, sondern um
eine solche Organisation, die sich die Repräsentation der ungarischen
Gemeinschaft in Rumänien und die Verteidigung ihrer Interessen zum
Ziele setzt]. Er beschwörte damit eine Einheit, einen harten Kern einer
Gemeinschaft, bei der gilt: „Wir haben noch immer zu viel zu verlieren”.
25
Dennoch wuchsen die Spannungen in dem Verband mit der Dauer der Regierungsverantwortung,
sodass sich im Jahre 2003 unter dem Namen Magyar Polgári Szövetség/Ungarischer
Bürgerverband eine radikale Abspaltung in Konkurrenz zum RMDSZ bildete.
26
(aktualisiertes Kapitel; Stand: August 2003)
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1 zum RMDSZ und grundlegend zum Parteiensystem
Rumäniens siehe Anneli Ute Gabanyi: Das Parteiensystem Rumäniens.
In: Parteiensysteme in postkommunistischen Gesellschaften Osteuropas. Hg.
v. Dieter Segert, Richard Stöss, Oskar Niedermayer. Opladen: 1997.
S. 181-236; ein knapper Überblick über die Parteienlandschaft
bei o.N.: The
Political Landscape in Romania. Alliances and Parties.
2 RMDSZ: Statute of the Democratic Alliance of Hungarians
in Romania. Adopted by the 4th Congress of the DAHR. Cluj (Kolozsvár),
the 26-28th of May 1995. III, C, 22. In: Democratic Alliance of Hungarians
in Romania: Documents 4. Cluj: 1995. S. 29-49. István Székely
vergleicht den RMDSZ daher mit einer aus 22 Unternehmen bestehenden lockeren
Holding, deren Problem es aber auch sei, dass die Einzelunternehmen mit
Rücksicht auf den Zusammenhalt der Holding nur begrenzte Entwicklungschancen
besitzen (István Székely: A belső választások
és az RMDSZ hatalmi szerkezetének összefüggései.
In: Magyar Kisebbség
6 (2000), H. 1).
3 vgl. RMDSZ: Statute of the Democratic Alliance
of Hungarians in Romania. Adopted by the 4th Congress of the DAHR. Cluj
(Kolozsvár), the 26-28th of May 1995. III, A. [Fn. 2]
4 ebd., IV, V, VI, VII, X.
5 Auch im „Parteiensystem“ der EU hat der RMDSZ sich
der Europäischen Volkspartei angeschlossen (Interview mit Zsuzsa
Bereschi, außenpolitischer Beraterin des RMDSZ, in Bukarest am 19.
Juli 2001).
6 Imre Borbély, Zsolt Attila Borbély:
RMDSZ: érték és hatalom, 1989-1998. In: Magyar Kisebbség 4
(1998), H. 2. Die Autoren selbst wären in diesem Schema der ersten Strömung
zuzurechnen, woraus die negativ konnotierte Beschreibung der Strömung
Vier resultiert.
7 vgl. Wolfgang Zellner, Pál Dunay: Ungarns
Außenpolitik 1990-1997. Zwischen Westintegration, Nachbarschafts-
und Minderheitenpolitik. Baden-Baden: 1997. S. 259f.
8 Günter Klein: Rumäniens Minderheitenpolitik
im Kontext internationaler Beziehungen und Empfehlungen des Europarates.
In: Südosteuropa 45 (1996), H. 11-12. S. 815-839. S. 827.
9 RMDSZ: Fundamental Principles of the Programme
of the Democratic Alliance of Hungarians in Romania. Adopted by the 4th
Congress of the DAHR. Cluj (Kolozsvár), the 26-28th of May 1995.
Punkt 4b. In: siehe [Fn. 2]. S. 3-27.
10 Vladimir Pasti: The Challenges of Transition.
Romania in Transition. New York: 1997. S. 199ff.
11 ebd., S. 206.
12 Imre Borbély, Zsolt Attila Borbély:
RMDSZ: érték és hatalom, 1989-1998. [Fn. 6]
13 so der dem radikalen Flügel zuzurechnende
Géza Szőcs im Januar 2000 (Géza Szőcs, Mária Gál:
10 éves az RMDSZ. Interjú Szőcs Gézával. In:
Szabadság 14.01.2000. S. 3, 6).
14 Dieser Wechsel entsprach auch der Stimmung in
der ungarischen Bevölkerung Rumäniens (Tom Gallagher: Controversy
in Cluj. In: Transition 1 (1995), H. 15. S. 58-61. S. 59).
15 RMDSZ: Democratic Alliance of Hungarians in Romania.
o.O.: 1998. S. 4.
16 Manche bemängeln aber sogar, dass eben diese
Stimmen in der öffentlichen Diskussion durch den Regierungseintritt
schwächer wurde, da sich der RMDSZ nun nicht mehr ausschließlich
mit Minderheitenfragen befassen könne (Barna Bodó: Oktatási
reálpolitika, avagy mennyire beteg az RMDSZ állatorvosi
lova? In: Magyar Kisebbség
4 (1998), H. 2).
17 Als Erfolge sind insbesondere zwei Regierungsdirektiven
im Mai 1997 zu nennen, mit denen die problematischsten Passagen des Bildungsgesetzes
84/1995 sowie des Gesetzes zur lokalen Verwaltung 69/1991 behoben wurden.
Heikel dabei war allerdings, dass sie als Dringlichkeitsdirektiven verabschiedet
wurden, d.h., das eigentliche Gesetzgebungsorgan befasste sich erst im
nachhinein mit den bereits vorläufig in Kraft befindlichen Verordnungen,
die es als Gesetz beschließen oder wieder außer Kraft setzen
konnte, wodurch ein Zustand der Unklarheit entstand (eine Prozedur, die
in Rumänien zur üblichen Praxis wurde).
18 vgl. István Székely: A belső választások
és az RMDSZ hatalmi szerkezetének összefüggései.
[Fn. 2]
19 Imre Borbély, Zsolt Attila Borbély:
RMDSZ: érték és hatalom, 1989-1998. [Fn. 6]
20 Géza Szőcs, Mária Gál: 10
éves az RMDSZ. Interjú Szőcs Gézával. [Fn.
13]
21 RMDSZ, PDSR: Egyezmény a Romániai
Magyar Demokrata Szövetség és a Romániai Társadalmi
Demokrácia Pártja között. In: Népújság
30.12.2000.
22 Tibor Bogdán: Belső megújulást
sürget az RMDSZ reformtömörülése. In: Magyar
Hírlap 28.05.2001.
23 so prophezeite – neben anderen – auch Géza
Szőcs, dass der RMDSZ das Jahr 2010 in seiner derzeitigen Form nicht erreichen
werde (Géza Szőcs, Mária Gál: 10 éves az RMDSZ.
Interjú Szőcs Gézával [Fn. 13]); der Philosoph und
Politiker Dan Oprescu vermutet, dass es dem RMDSZ ab etwa 2004/05 nicht
mehr gelingen werde, seine Wählerschaft ethnisch zu organisieren (Dan
Oprescu: A nemzeti kisebbségek 1999-ben. In: Magyar Kisebbség
6 (2000), H. 2).
24 o.N.: „Az RMDSZ nem politikai párt...”
In: TransIndex 23.05.2001.
25 so Zsuzsa Bereschi, die aber gleichzeitig darauf
hinweist, dass der moderate Kurs der gegenwärtigen Parteiführung
langfristig zum Zerfall der Partei führen wird (Interview mit Zsuzsa
Bereschi, außenpolitischer Beraterin des RMDSZ, in Bukarest am 19.
Juli 2001).
26 Zoltán Tibori Szabó: Megalakult
az RMDSZ ellenszervezete. In: Népszabadság 04.07.2003.